Die wesentliche Betriebsgrundlage

Dem Begriff der wesentlichen Betriebsgrundlage kommt vor allem im Ertragsteuerrecht im Rahmen verschiedener Rechtsnormen eine zentrale Bedeutung zu. Dies soll Anlass sein, nachfolgend einen Überblick über die konkrete Bedeutung im Rahmen verschiedene Rechtsnormen zu geben.

Der Begriff dient der Abgrenzung betrieblicher Einheiten anhand der für sie bedeutenden Wirtschaftsgüter. Das Gesetz verwendet an verschiedenen Stellen selbst den Begriff der wesentlichen Betriebsgrundlage: § 16 Abs. 3 Satz 3 EStG ordnet die rückwirkende Versteuerung der stillen Reserven in im Rahmen einer Realteilung übertragenen Einzelwirtschaftsgüter an, wenn zum Buchwert übertragener Grund und Boden, übertragene Gebäude oder andere übertragene wesentliche Betriebsgrundlagen innerhalb einer Sperrfrist veräußert oder entnommen werden. Auch das Erbschaftsteuergesetz knüpft unter anderem in § 13a Abs. 6 Satz 1 Nr. 4 Satz 2 an den Begriff an, indem es den rückwirkenden Wegfall des Verschonungsabschlags für Anteile an Kapitalgesellschaften anordnet, wenn die Kapitalgesellschaft innerhalb der Behaltensfrist wesentliche Betriebsgrundlagen veräußert. Dabei wird der Begriff der wesentlichen Betriebsgrundlage jedoch an keiner Stelle gesetzlich definiert. 

I. Vorüberlegungen

Das Gesetz knüpft im Bereich der Gewinneinkunftsarten an unterschiedlichen Stellen an die Begrifflichkeiten des Betriebs und des Teilbetriebs an. Oft entscheiden diese Tatbestandsmerkmale über Steuervergünstigungen wie zum Beispiel die Möglichkeit der steuerneutralen Übertragung von Betriebsvermögen (§§ 6 Abs. 3 EStG, 20 und 24 UmwStG), der Inanspruchnahme von Freibeträgen oder Tarifvergünstigungen (§§ 16, 34 EStG) oder der Inanspruchnahme einer Steuerbefreiung (§ 13a Abs. 6 Satz 1 Nr. 4 Satz 2 ErbStG). Ein (Teil-) Betrieb umfasst alle Wirtschaftsgüter, die für die Ausübung der jeweiligen vom Steuerpflichtigen ausgeübten steuerlich relevanten Tätigkeit von wesentlicher Bedeutung sind und ihr das Gepräge geben (wesentliche Betriebsgrundlagen). Wirtschaftsgüter, die für den Betrieb nicht wesentlich in diesem Sinne sind, können zwar zum ertragsteuerlichen Betriebsvermögen gehören. Gleichwohl müssen sie nicht zwingend derart bedeutend für den Betrieb sein, um als wesentliche Betriebsgrundlage zu gelten. 

Der Begriff der wesentlichen Betriebsgrundlage ist jeweils im Lichte des Zwecks der zugrundeliegenden Rechtsnorm auszulegen, da verschiedene Normzwecke auch verschiedene Aspekte eines Betriebs im steuerlichen Sinne adressieren. So kann zum einen die Übertragung einer funktionsfähigen betrieblichen Einheit im Vordergrund stehen, die weiterhin im bisherigen Sinne Erträge erwirtschaften können soll, die wiederum der Besteuerung unterliegen. Zum anderen kann aber auch die steuerliche Erfassung einer Wertsteigerung beabsichtigt sein, sodass sich die Wesentlichkeit auf das Vorhandensein beträchtlicher stiller Reserven beziehen kann.

Es spielt bei der Beurteilung keine Rolle, ob sich das Wirtschaftsgut im Sonderbetriebsvermögen befindet oder ob es sich lediglich um einen Miteigentumsanteil an einem Wirtschaftsgut handelt.

II. Funktionale Betrachtungsweise

Im Regelfall ist das Merkmal der Wesentlichkeit eines Wirtschaftsguts für den Betrieb in erster Linie nach der sogenannten funktionalen Betrachtungsweise zu bestimmen. Dabei ist zu untersuchen, wie das einzelne Wirtschaftsgut im Unternehmen eingesetzt wird und ob es durch den spezifischen Einsatz für den Betrieb einen so wesentlichen Beitrag zur Erreichung des Unternehmenszwecks leistet, dass es dem Betrieb dadurch sein Gepräge gibt. Anders ausgedrückt ist die Frage zu stellen, ob das Wirtschaftsgut ein erhebliches Gewicht für den Betriebsablauf hat und mithin für die Fortführung des Betriebs notwendig ist (BFH, Urteil vom 29. November 2017, I R 7/16, Rz. 27). Dabei entscheidet das Gesamtbild der Verhältnisse über die funktionale Wesentlichkeit, sodass stets die konkreten Umstände des Einzelfalls zur Beurteilung heranzuziehen sind. 

Nach diesem Verständnis handelt es sich bei Wirtschaftsgütern, die zu mehr als 10% aber zu weniger als 50% betrieblich genutzt werden und demnach als gewillkürtes Betriebsvermögen zu qualifizieren sind, regelmäßig nicht um wesentliche Betriebsgrundlagen. Gleiches gilt für Wirtschaftsgüter, die nicht dauernd dem Betrieb dienen sollen und daher dem Umlaufvermögen zugehörig sind. Der Betrieb kann im Regelfall auch ohne die Wirtschaftsgüter des gewillkürten Betriebsvermögens und des Umlaufvermögens ohne funktionale Beeinträchtigungen fortgeführt werden. Im Falle des Umlaufvermögens ergibt sich dies schon aufgrund der typischerweise hohen Umschlagshäufigkeit, wohingegen Wirtschaftsgüter des gewillkürten Betriebsvermögens zwar zur Erreichung des Unternehmenszwecks erforderlich sein können, im Regelfall aber wegen ihres vergleichsweise geringen Nutzungsumfangs nicht prägend für das Bild des Betriebs sind. 

Gleichwohl kann es sich im Ausnahmefall auch bei Wirtschaftsgütern des Umlaufvermögens um funktional wesentliche Betriebsgrundlagen handeln, beispielsweise wenn ein bedeutender Teil des Warenbestands nicht kurzfristig wiederbeschafft werden kann.

III. Quantitative Betrachtungsweise

Ein Wirtschaftsgut kann auch deshalb als wesentliche Betriebsgrundlage angesehen werden, weil es Träger für den Betrieb wesentlicher stiller Reserven ist. Für die Bestimmung der Wesentlichkeit kommt es nicht nur auf den relativen Anteil der stillen Reserven im Verhältnis zu den insgesamt im Betrieb vorhandenen stillen Reserven, sondern auch den absoluten Betrag der stillen Reserven an. Die Rechtsprechung lässt keine trennscharfe Linie hinsichtlich der Abgrenzung der Erheblichkeit stiller Reserven bei relativer oder absoluter Betrachtung erkennen, allerdings hat der BFH stille Reserven in einem Grundstück in Höhe von DM 186.000 als „bei weitem“ absolut wesentlich angesehen (BFH, Urteil vom 1. Februar 2006, XI R 41/04) und eine genaue Abgrenzung dabei ausdrücklich offengelassen. Damit können bei quantitativer Betrachtungsweise auch Wirtschaftsgüter des gewillkürten Betriebsvermögens oder des Umlaufvermögens wesentliche Betriebsgrundlagen sein. Auf den Umfang der tatsächlichen betrieblichen Inanspruchnahme kommt es nicht an. 

IV. Normspezifische Beispiele (Auswahl)

Im Folgenden sollen einige normspezifische Anwendungen des Begriffs der wesentliche Betriebsgrundlage dargestellt werden.

1. Betriebsveräußerung/-aufgabe und Tarifbegünstigung – §§ 16, 34 EStG

§ 16 EStG definiert verschiedene Tatbestände zur Beendigung und steuerlichen Abwicklung eines Gewerbebetriebs und ist im Wesentlichen darauf gerichtet, die sich während der Lebensdauer des Betriebs angesammelten stillen Reserven in dem Zeitpunkt, in dem der Betrieb als Anknüpfungspunkt für die steuerliche Erfassung seiner Erträge beim Inhaber zu existieren aufhört, der Besteuerung zu unterwerfen. Die hierdurch entstehenden Gewinne stellen außerordentliche Einkünfte im Sinne des § 34 Abs. 2 EStG dar und unterliegen damit einer Tarifermäßigung, die die zusammengeballte Aufdeckung über mehrere Jahre angesammelter stiller Reserven einer abgemilderten Besteuerung (also nicht dem progressiven Steuertarif) unterwirft. Dabei ist einerseits erforderlich, dass der bisherige Betriebsinhaber seine in dem veräußerten oder aufgegebenen Betrieb entfaltete Tätigkeit endgültig einstellt und damit alle für diesen Betrieb ihrer Funktion nach wesentlichen Wirtschaftsgütern entweder veräußert oder zumindest nicht mehr zur Erzielung von Gewinneinkünften nutzt und dementsprechend in sein Privatvermögen überführt. Zum anderen müssen jedoch auch alle über die Lebensdauer des Betriebs hinweg angesammelten stillen Reserven aufgedeckt werden, da ansonsten der Tatbestand der zusammengeballten Aufdeckung stiller Reserven im Sinne des § 34 EStG nicht gegeben ist, sodass im Ergebnis auch die stillen Reserven in allen quantitativ wesentlichen Betriebsgrundlagen aufzudecken sind. Die Rechtsprechung leitet auf Grundlage dieser Erwägungen bei der Anwendung der §§ 16, 34 EStG die sogenannte funktional-quantitative Betrachtungsweise her, nach der für die Inanspruchnahme der Tarifermäßigung die stillen Reserven in allen funktional wesentlichen als auch in allen quantitativ wesentlichen Betriebsgrundlagen aufzudecken sind (z. B. BFH, Urteil vom 28. Mai 2015, IV R 26/12). 

2. Betriebsaufspaltung

Nach ständiger Rechtsprechung (zum Beispiel BFH, Urteil vom 28. Mai 2020, IV R 4/17) liegt eine Betriebsaufspaltung vor, wenn einem Betriebsunternehmen wesentliche Grundlagen für seinen Betrieb von einem Besitzunternehmen überlassen werden (sachliche Verflechtung) und die hinter dem Betriebs- und dem Besitzunternehmen stehenden Personen einen einheitlichen geschäftlichen Betätigungswillen haben (personelle Verflechtung). Folge dieser Betrachtung ist, dass sich das Besitzunternehmen durch die enge wirtschaftliche Verflechtung über das Betriebsunternehmen am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr beteiligt und die Überlassung der Wirtschaftsgüter den Rahmen der privaten Vermögensverwaltung überschreitet und damit als Gewerbebetrieb anzusehen ist. Diese Rechtsfolge knüpft aber an die sogenannte sachliche Verflechtung an, die nur dann vorliegt, wenn es sich bei dem überlassenen Wirtschaftsgut um eine wesentliche Betriebsgrundlage handelt. 

Dabei geht die Rechtsprechung davon aus, dass wesentliche Betriebsgrundlagen in diesem Sinne solche Wirtschaftsgüter sind, die zur Erreichung des Betriebszwecks erforderlich sind und ein besonderes wirtschaftliches Gewicht für die Betriebsführung besitzen. Damit ist ausschließlich die funktionale Bedeutung des überlassenen Wirtschaftsguts ausschlaggebend (rein funktionale Betrachtungsweise, zuletzt BFH, Urteil vom 9. Juli 2019, X R 9/17). 

3. Unentgeltliche Übertragung betrieblicher Sachgesamtheiten, § 6 Abs. 3 EStG

§ 6 Abs. 3 Satz 1 EStG bestimmt, dass bei der unentgeltlichen Übertragung betrieblicher Sachgesamtheiten (Betriebe, Teilbetriebe, Mitunternehmeranteile) beim Übernehmer zwingend die steuerlichen Buchwerte fortzuführen sind, soweit die Besteuerung der stillen Reserven sichergestellt ist. Hierbei steht gerade nicht die Aufdeckung stiller Reserven, sondern die Übertragung einer funktionsfähigen betrieblichen Organisationseinheit im Vordergrund. Folgerichtig geht daher die Finanzverwaltung davon aus, dass der Anwendungsbereich des § 6 Abs. 3 EStG bereits dann eröffnet ist, wenn „zumindest alle funktional wesentlichen Betriebsgrundlagen übertragen werden“ (BMF-Schreiben vom 20. November 2019, BStBl 2019 I, 1298). 

4. Umwandlungsteuergesetz

Auch bei der Anwendung des Umwandlungsteuergesetzes kommt es bei der Abgrenzung qualifizierter Einlagegegenstände zum Teil auf die Definition der wesentlichen Betriebsgrundlagen an (z. B. Einbringung eines Betriebs in eine Kapitalgesellschaft). Auf Grundlage der gleichen Erwägungen ist auch bei der Auslegung dieser Normen davon auszugehen, dass es hierbei auf die funktionale Betrachtungsweise ankommt (vgl. zum Beispiel BMF-Schreiben vom 11. November 2011, Rn. 20.06). 

5. Erbschaftsteuerliche Begünstigung für Betriebsvermögen

Die §§ 13a, 13b ErbStG begünstigen unter bestimmten Voraussetzungen unter anderem den Erwerb von Betriebsvermögen. Das Gesetz knüpft die Begünstigung dabei maßgeblich an eine fünf- bzw. siebenjährige Behaltensfrist sowie eine Lohnsummenregelung. § 13a Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 ErbStG bestimmt, dass der Verschonungsabschlag (§ 13a Abs. 1 ErbStG) sowie der Abzugsbetrag (§ 13a Abs. 2 ErbStG) mit Wirkung für die Vergangenheit wegfallen, soweit innerhalb der Behaltensfrist wesentliche Betriebsgrundlagen eines Gewerbebetriebs veräußert werden. Gleiches gilt auch, wenn eine Kapitalgesellschaft, deren Anteile steuerbegünstigt erworben wurden, wesentliche Betriebsgrundlagen veräußert (§ 13a Abs. 6 Satz 1 Nr. 4 Satz 2 ErbStG). An dieser Stelle verwendet das Gesetz selbst ausdrücklich den Begriff der wesentlichen Betriebsgrundlage. Die Finanzverwaltung geht davon aus, dass dabei nur die funktionale Betrachtungsweise Anwendung findet, ohne dies näher zu erläutern (R 13a.13 Abs. 2 Satz 4 ErbStR). Dabei ist bereits die in der Richtlinie gewählte Formulierung, der Begriff der wesentlichen Betriebsgrundlage entspreche dem des Ertragsteuerrechts, sehr ungenau und deshalb kritikwürdig. Schließlich ist auch im Ertragsteuerrecht eine normspezifische Auslegung des Begriffs geboten, sodass sich aus dieser sehr allgemein gehaltenen Aussage keine genaue Auslegung ableiten lässt. Auch in der Literatur wird diese Auffassung zum Teil vertreten (vgl. Stalleiken in von Oertzen/Loose, ErbStG, § 13a Rn. 142). Es muss jedoch berücksichtigt werden, dass die erbschaftsteuerliche Begünstigung für Betriebsvermögen vor allem dadurch motiviert ist, fortzuführende betriebliche Einheiten nicht aufgrund einer steuerlichen Belastung (teilweise) zerschlagen zu müssen. In der Folge wäre es nur konsequent, die durch die Veräußerung einer quantitativ wesentlichen Betriebsgrundlage aufgedeckten stillen Reserven zur Erbschaft- und Schenkungsteuer heranzuziehen, da durch die Veräußerung in aller Regel auch die notwendigen liquiden Mittel zur Begleichung der Steuer zur Verfügung stehen.

Der Begriff der wesentlichen Betriebsgrundlage im erbschaft- und schenkungsteuerlichen Sinne wird in der Literatur teilweise auf Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens beschränkt (vgl. Geck in Kapp/Ebeling, ErbStG, § 13a Rn. 118). Begründet wird diese Auffassung damit, dass die Vorschriften über die Nachversteuerung solche Veräußerungen sanktionieren sollten, die den Fortbestand des Betriebs gefährdeten. Dieser Zweck werde aber nicht erreicht, wenn auch die Veräußerung von Wirtschaftsgütern des Umlaufvermögens zu einer Nachversteuerung führte, denn diese seien für die dauerhafte Fortführung des Betriebs nicht erforderlich, sodass eine Beschränkung des Begriffs der wesentlichen Betriebsgrundlage auf die Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens geboten sei. 

V. Fazit

Es zeigt sich, dass dem Begriff der wesentlichen Betriebsgrundlagen insbesondere im Ertragsteuerrecht in verschiedenen systematischen Zusammenhängen eine tragende Bedeutung zukommt. Es kommt ihm aber auch im erbschaftsteuerlichen Kontext eine gewisse Relevanz zu. Bei der Auslegung ist stets auf Grundlage der Zielsetzung der zugrunde liegenden Norm zu entscheiden, ob die funktionale, die quantitative oder die funktional-quantitative Betrachtungsweise Anwendung findet.